Die Schweiz – als Kinder streiften wir mit “Heidi” und dem “Alm-Öhi” über Schweizerische Alpenwiesen und schleckten dabei eine der berühmten Schweizer Schokoladen, später kam bei einigen vielleicht der begehrliche Blick auf die Schweizer Uhrmacherkunst dazu oder bildungspolitisch der neidvolle Blick auf die Forschungsleuchttürme im kleinen Nachbarland. Aber aus österreichischer Sicht ist die Schweiz auch interessant, wenn es um die politisch anspruchsvolle Frage der Sanierung eines historischen Parlamentsgebäudes geht, zumal aus Sicht der “Vereinigung der Parlamentsredakteurinnen und -redakteure”.
Am 11. und 12. Juni reiste daher eine Gruppe von österreichischen Parlamentsredakteuren und Mitgliedern des Projektteams im Parlament nach Bern, um sich über die dortigen Erfahrungen mit dem Umbau des “Bundeshauses”, in dem die zwei gleichberechtigten Kammern des Schweizerischen Parlaments, der Nationalrat und der Ständerat, tagen, zu informieren.
Gleich vorweg: Eine Sanierung bei laufendem Betrieb ist im österreichischen Parlament nicht möglich. Das historische Gebäude von Architekt Theophil Hansen ist “fugenlos”, es gibt also keine “Trennfugen”, und das heißt, wird an einem Ende des Hohen Hauses gebohrt, pflanzt sich der Baulärm ungehindert bis ans andere Ende des Hauses durch. Die Schweizer dagegen, deren Parlament jährlich in vier Sessionen zu je drei Wochen tagt, beschlossen von Anfang an: Das Parlament wird nicht ausgesiedelt, alle Umbauarbeiten müssen quasi um den politischen Betrieb “drumherum” organisiert und ausgeführt werden. Eine logistische Herausforderung sondergleichen, die sich kein Architekt und Bauteam wünscht, aber es war politische Vorgabe – und sie wurde realisiert, wie der Projektleiter der Sanierung des Schweizer Parlamentsgebäudes, Daniel Scheidegger, berichtete. Die Kosten für das Provisorium, das das Parlament in Bern in dieser Zeit funktionsfähig erhalten sollte, beliefen sich auf 10 Millionen Schweizer Franken (8,3 Millionen Euro). Die Gesamtkosten für die Sanierung (Basis 2008 inklusive 7,6 Prozent Mehrwertsteuer) lagen bei 103 Millionen Schweizer Franken (85,7 Millionen Euro).
2004 wurde mit den Planungsarbeiten begonnen, zwei Jahre später erfolgte der Baubeginn, im November 2008 war die Gesamtsanierung des 1902 eröffneten Gebäudes abgeschlossen. 2011 wurde noch eine Sanierung des Ständeratssaals erledigt. Das Grundprinzip der Parlamentssanierung in der Schweiz lautete: “Das Parlamentsgebäude dem Parlament.” Das bedeutete zum Beispiel, dass die vorher im Bundeshaus arbeitenden Medienschaffenden – anfangs nicht zu deren ungetrübter Freude – ausgelagert und in ein eigens geschaffenes, von der Österreicher-Delegation ebenfalls besichtigtes Medienzentrum (42 Millionen CHF, 34,9 Millionen Euro) übersiedelt wurden.
Eine weitere Leitlinie der Sanierung war: “Zurück zum Original.” Will heißen: Die Denkmalpflege hatte starken Einfluss auf die Umbauarbeiten. Schwere, historische Holzdecken etwa wurden renoviert und blieben erhalten. “Das Neue” nach dem Umbau erkennt man auch an der Farbe: Alles, was schwarz ist, Tische oder Stühle zum Beispiel, sind Zeichen der Renovierung bzw. Handschrift der beteiligten Architekten. Es ist jenes Detail, das nachträglich vielleicht am ehesten als nicht ganz ideal empfunden wird. Als höchst gelungen gilt dagegen das neu ins Parlament integrierte “Grand Café Galérie des Alpes”, das dort residiert, wo früher die Parlamentsbibliothek angesiedelt war.
Orts- und sachkundig begleitet von der Gesandten der österreichischen Botschaft in der Schweiz, Ilona Hoyos, führte die Exkursion nach Bern nicht nur durch das mit vielen historischen Verweisen gestaltete Parlamentsgebäude, wo es auch Gelegenheit zum Informationsaustausch mit dem Chef für Internationale Beziehungen der Bundesversammlung, Claudio Fischer, dem Chef der Abteilung Information und Kommunikation der Bundesversammlung, Mark Stucki, sowie zwei Vertreterinnen aus dessen Team, und dem Leiter des Dienstes für Öffentlichkeitsarbeit, Andreas Blaser, gab, sondern am Abend auch in die Residenz des österreichischen Botschafters, Jürgen Meindl.
Neben dem “eigentlichen” Anlass für die Reise nach Bern, der Parlamentssanierung, bot die laufende innenpolitische Diskussion über eine Demokratiereform mit mehr und neuen Formen der direkten Demokratie in Österreich Stoff, um vor Ort bei Politikern und Bundeshausjournalisten nachzufragen, wie es denn der Schweiz mit der dort traditionell in das politische System viel selbstverständlicher integrierten direkten Demokratie so ergeht. Der Präsident des Ständerats, Hans Altherr (FPD), tat in dieser Runde kund, dass er die Schweiz an dem Punkt angekommen sieht, an dem eine Diskussion über eine gewisse Einschränkung der Volksentscheide anstehe – aber, konsequenterweise heißt das in der Schweiz: “Das kann man nur mit Zustimmung des Volkes.” So trete er für ein materielles Vorprüfungsverfahren (derzeit gibt es nur ein formelles) für Volksabstimmungsvorhaben ein, um völkerrechtlich möglicherweise unerwünschte Nebenwirkungen von Plebisziten, etwa Probleme im Hinblick auf bilaterale Verträge mit der EU, der Bevölkerung schon vor der Abstimmung klar zu kommunizieren: “Wenn ihr das und das annehmt, dann passiert das und das”, erklärte Ständeratspräsident Altherr, der von einer zu hektischen Übernahme des Schweizer Demokratie-Modells in andere Länder warnte.
Die Demokratiekultur eines Landes ist vermutlich genauso diffizil und speziell wie die nationale Baukultur. Ein historisches Parlament, das symbolische Herz der Demokratie, zu sanieren, ist ein riesiges, und, ja, kostspieliges Projekt. Aber es hat sich auch bei diesem Besuch in der Schweiz gezeigt: Demokratie braucht auch einen funktionierenden Ort, um funktionsfähig zu bleiben. Der Gedankenaustausch mit Schweizer Repräsentanten – politischen, verwaltungstechnischen und journalistischen – war ein lohnenswerter, interessanter Einblick, der gezeigt hat, wie es funktionieren kann, aber auch: dass es in jedem Land anders funktionieren wird und muss. Aus den Erfahrungen anderer Länder mit derartigen Großprojekten kann man immer lernen, aber machen muss man die eigenen Erfahrungen selbst.
Die österreichische Besucher-Delegation nahm aus der Schweiz neben interessanten Einblicken in deren Politik- und Parlamentsumbauerfahrungen aber noch etwas mit – ein Stück der berühmten “Schweizer Schoggi” gab’s zum Abschied natürlich auch. (nim)